Balladins

Im Balladins strandeten wir komplett unfreiwillig, weil unser Heimflug bestreikt und unser Lyonaufenthalt um eine Nacht verlängert wurde. Und von Lyon kann hier eigentlich keine Rede mehr sein, auch wenn alle Stunde ein Bus in die Stadt zwischen Rhone und Saone fährt.
Wir kommen uns ein wenig vor wie in der amerikanischen Ferienanlage aus Dirty Dancing, an der seit jener Zeit auch keine Hand mehr angelegt wurde.
Die Anlage besteht aus mehreren Blöcken, sauber durchalphabetisiert. Muss auch, denn es ist alles ziemlich unübersichtlich. Rechts, links, treppauf, treppab.
Wir finden in dieser Nacht in Haus E ein Bett, einem langgestreckten Motelbau; auf dem Weg zu unserem Zimmer schauen wir unfreiwillig in die unserer Nachbarn hinein.
Die Aussicht geht immerhin nicht auf einen gegenüberliegenden Bau, sondern in den vorgelagerten Wald.
Die stylishe Maisonnetten-​Landschaft, die in dem Hotel-​Flyer abgebildet ist, können wir uns hier absolut nicht vorstellen.
Das Zimmer ist winzig, das Bad noch winziger; um in die Wanne zu klettern, beanspruche ich über Gebühr meine müden Gelenke. Und dann noch Nylonvorhang!
Das Bett ist französisch dimensioniert, wir kuscheln zwangsläufig.
Nix da Minibar, dafür ein ausreichender Flatscreen. Zum Glück reisen wir nur mit Rucksack: Koffer wäre problematisch. Der «Schrank» ist ein offenes Regal mit Kleiderstange.
Wir sind an diesem Abend für den Koch die letzten Gäste, zudem arg verspätet, aber klaglos dürfen wir sogar noch a la carte wählen. Wir dinieren zu Lasten der bestreikten Airline, deshalb habe ich mir die Preise nicht gemerkt. Aber wir sind bass erstaunt, welch Genuss hier in dieser recht einfachen Location aus der Küche kommt. Der Gargrad des Beefsteaks wird sauber abgefragt und exakt in medium-​rare serviert. Die Pommes sind perfekt knusprig, meine Pasta a point.
Ein bißchen Entschädigung für all die Unbill. Der Hauswein aus dem Lyoner Pot ist mehr als annehmbar. Gleich die «Nacht-​Ration» mit auf’s Zimmer.
Später erst entdecken wir die coole Lederbar mit Kamin-​Attrappe und XXL-​Flatscreen, aber für beides sind wir eh zu kaputt.
Das Frühstück anderntags hat Trucker-​Charakter: abgepackte Marmeladen etc., Café-​Variationen aus dem Automaten, immerhin sogar Schwarzbrot. Mir reicht in der Grande Nation immer das französische Croissant, davon aber viele. Schlechte Croissants kann der Franzose, glaube ich, gar nicht…
Personal ist kaum zu sehen, braucht ja auch nicht. Umso erstaunter sind wir, dass sich plötzlich doch jemand erkundigt, ob wir ein Ei wünschten (?)…
Ohne den Airport-​Streik hätten wir die Location nicht kennengelernt und definitiv ist es keine Option, wenn man Lyon besuchen möchte.
Für eine quick & dirty Übernachtung auf der Durchreise auf der Nord-​Süd-​Tangente aber nicht das Schlechteste. Vor allem zu dem Kurs!