Michael Stastny

«Brandineser» — wie man in Wien leicht abwertend zu sagen pflegte — sind heute schon beinahe ausgestorben. Konzessionen für Branntweinschenken gibt es in Wien aktuell noch zehn. Tatsächlich dürften aber nur mehr drei, vier Lokale «ausschließlich» als Branntweinschenke geführt werden.
Was eine Branntweinschenke ist? In den 50er-​Jahren durfte «harter» Alkohol (also gebrannte Schnäpse, Edelbrände, etc.) nur in Branntweinschenken ausgeschenkt werden. Sie waren (und sind es auch heute noch) um 19 Uhr zu schließen, durften aber bereits um 5 Uhr geöffnet werden (und waren nicht selten schon frühmorgens gut besucht). Essen durfte nicht serviert werden. Sinn dahinter war es, «Trinkerlokale» in Grenzen und kontrollierbar zu halten sowie Ruhestörung durch abendliche und nächtliche Besäufnisse zu verhindern. Bereits seit den 80ern ist das Konzept aber zahnlos, da nun auch Imbißlokale, Kaffeehäuser etc. Edelbrände und Schnaps ausschenken dürfen und außerdem normal offen haben können. Daher hat der Lokaltyp Branntweinschenke keinen wirklichen Sinn mehr und die Lokale, die bestehen, existieren so halt schon länger. Um ihren meist zweifelhaften Ruf zu verbessern, legten sich Branntweinschenken früher übrigens oft Bezeichnungen zu, die den eigentlichen Charakter des Lokals verbergen sollten. Meistens nannten sie sich «Tee– und Likörstube», «Moccastube» oder warben mit der Verfügbarkeit von «alkoholfreien Getränken». Reingefallen dürfte drauf aber wohl eher niemand sein ;)
In der Schiffmühlenstraße 68, Ecke Moissigasse, befindet sich auch 2014 noch eine «Tee-​, Rum– und Likörstube». Sie ist sehr klein, ein paar Tische und die Budel bilden die ganze Einrichtung. Seit der Eröffnung 1949 dürfte an der Einrichtung nicht wirklich viel verändert worden sein. Beim Reinkommen war glücklicherweise noch ein Tisch frei und auf mein «Grüß Gott» kam «Gott grüßt zurück» von einem anwesenden Stammgast zurück. Das konnte ja lustig werden! Anwesend waren übrigens nur Stammgäste und die Wirtin, die auch mit am Tisch saß. Getrunken wurde von den Gästen wild durcheinander Schnaps, Bier und Wein — ich konnte mir nicht erklären, wie die das aushalten, zumal ca. alle 20 Minuten von irgendwem eine neue Schnapsrunde gestartet wurde. Die Leute wirkten aber alle noch zurechnungsfähig und sahen auch sonst nicht so aus, als ob sie schon völlig am Boden wären. Der Schmäh lief prächtig («Vom nächsten, der einekommt, kassier ma zwanzig Euro fias Kabarett») und alle wurden ständig durch den Kakao gezogen. Nebenbei spielten die Wirtin und ein Gast in einem Wahnsinnstempo (passenderweise) Schnapsen.
Zu erwähnen ist der sehr gute Sliwowitz, zum ersten Mal wurde ich in Wien gefragt, ob ich einen «kleinen oder großen» Schnaps will. Es gibt aber nicht nur Schnaps, auch Bier, Wein, Alkoholfreies, Tee und Kaffee, zum Alkohol wird keiner verdonnert.
Fazit: (Nur) für Freunde Urwiener Lokalkultur gut geeignet, hoher Spaßfaktor und viel Schmäh! Beim Besuch keinesfalls empfindlich sein und damit rechnen, durch den Kakao gezogen zu werden. Und nicht vergessen: um 19 Uhr wird zugemacht!
Wer mehr über Branntweinschenken erfahren will, werfe einen Blick auf diese Diplomarbeit: «Wiener Branntweinschenken. Eine kulturgeschichtlich-​soziologische Untersuchung über eine aussterbende Gastwirtschaftsform». Harald Pichler, Dipl.-Arbeit, Wien 1993