Enas Garten

Irgendwo in der ostschweizerischen Landschaft versteckt gibt es einen Garten, der wunderschön ist. Natürlich gibt es dies auf der ganzen Welt. Aber zu Enas Garten habe ich eine besonders innige Beziehung. Ena ist die Frau von einem guten Freund von mir. Die Frau und passionierte Gärtnerin ist deshalb so genial, weil alles was sie in ihrem Garten macht eher zufällig erscheint. Stellt sie einen Gegenstand an ihren Platz bleibt er da. Für immer und ewig. Nur die Natur verändert ihn. Kein Mensch macht sich im weiteren Verlauf groß Gedanken darüber. Es ist einfach so wie es ist.
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Irgendwie wächst alles wie es will
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Ein Kunstwerk von der Natur kreiert
Der Mann von Ena ist Künstler. Er hat sich keiner bestimmten Gattung verschrieben. Am ehesten könnte man das, was er macht, mit Skulptur umschreiben. Dass er manchmal Häuser baut, hat damit zu tun, dass er Häuser wie Skulpturen sieht. Die Objekte außerhalb seiner Bautätigkeit werden ihn nie zum berühmten Künstler machen. Berühmt sein hat er auch nicht vor. Mir scheint, er macht Kunst die gar nicht verkaufbar ist. Und hat er trotzdem mal einen Interessenten für seine Gegenstände gefunden, ist er eher mürrisch. Er stellt die Skulpturen und Anderes nach vollbrachter Tat lieber in Enas Garten, wo sie dem Lauf der Zeit ausgesetzt sind. So entwickelt sich eine eigenartige Symbiose zwischen Natur und Kunst. Ena betrachtet sein Dazutun in ihrem Reich gelassen und sogar wohlgefällig. Es ist ganz in ihrem Sinne von Gartenpflege.
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Gebrauchskunst im wahrsten Sinne des Wortes
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Ich nenne es Ensemble, da es keinen Titel hat
Der verwunschene Ort ist ein Reich für Entdeckungen. Eine Skulptur, die schon in die Jahre gekommen ist, habe ich bei meiner letzten Erkundungstour kaum mehr gefunden. Es ist ein aus vier mächtigen Holzbalken zusammengefügter Quader, der bestimmt fünf Meter lang ist. Dafür beträgt sein Querschnitt nur 50 mal 50 Zentimeter. Das Ding ruht auf einer Einachslafette eines Gabelheuwenders, dessen Räder bei der Entstehung des Objekts mit Betttüchern umwickelt waren. Nun sind sie verrottet und weg. Da jeweils eine Kante der Balken vor dem Zusammenfügen beidseitig und längs durch eine Nut abgefräst wurde, bilden sie zusammen einen Schweizerkreuz-​Hohlraum, der die ganze Balkenkonstruktion im Querschnitt durchfließt. Man kann sich das vorstellen: vier ausgefräste Winkel ergeben zusammen ein Schweizerkreuz. In Erinnerung daran, dass die Skulptur als Ganzes wie ein überdimensioniertes Geschütz aussieht, werden hie und da am Schweizer Nationalfeiertag Raketen durch die Öffnung abgeschossen. Aber nur am ersten August. Entdeckt habe ich meinen alten Bekannten nun hinter dem ehemaligen Hühnerhaus.
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Der Lieblingsort der Schnecken
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Wahrhaft christliche Kunst
Dann findet sich im Garten ein ausgehöhlter Baumstamm, der innen einen Spiegel aufweist, der beleuchtet ist. Zurzeit haben sich darin Wespen angesiedelt, die Kunst offensichtlich mögen. Die weitere Funktion der Skulptur habe ich nicht mehr gegenwärtig, sodass diese Erklärung ausreichen müsste. Unter einem Baum in Partynähe steht ein Objekt aus gebogenen Stahlplatten, das wie ein Mülleimer aussieht. Eine Erklärung dafür gibt es nicht, da Kunst selbsterklärend ist. Viele der kunstähnlichen Gegenstände im Grün sind aus gebranntem Ton gefertigt und sie können bisweilen beachtliche Größen annehmen. Ich habe mir sagen lassen, dass derlei große Objekte beim Brennvorgang problematisch sind, da unterschiedlich dicke Wandungen beim Flüssigkeitsverlust durch Spannung platzen können. Die Keramiken sind meist fantasievoll glasiert und ihre Form ist jeweils schwer deutbar. Da soll sich doch jeder seinen Reim drauf machen.
Nun habe ich Enas Pflanzenpracht noch nicht beschrieben. Sie fügt sich in die Kunstwelt ein oder umgekehrt. Alles wächst wie wild und passt sich den Jahreszeiten an. Bewusst Gepflanztes und vom Wind Dahergetragenes mischt sich fröhlich. Narzisstische Rosenblüten würdigen sich verstohlen eines Blickes. Weinlaub klettert mit der Prunkwinde um die Wette. Rotblättriger Fingerhut-​Bartfaden okkupiert ein Gefäß, von dem man nicht weiß, ob es Kunst sein soll. Ein kleinwüchsiger Flächenahorn buhlt mit andern Gewächsen um die Sonne. Die Peperomia badet genüsslich im Wasserbecken. Lavendel durchstößt das Gerippe eines Lampenschirms. Moos überwuchert respektlos jeden Stein. Auch die Kunst.
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Das Gefäß ist wohl Kunst, der Inhalt nicht
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Natur und Moderne
Zurzeit blüht es an allen Ecken und Enden. Die Tierwelt kreucht und fleucht. Grashalme wiegen sich einträchtig mit Stofffahnen im Wind. Schnecken bevölkern eine Keramik, die wie eine Zunge aussieht. Der französische Gourmet hätte seine helle Freude daran. In allem atmet geheimnisvolle Poesie. Eine Poesie, die man selbst verstehen muss und die Ena nicht erklärt. Recht hat