Der geneigten Leserin oder dem geneigten Leser dürfte aufgefallen sein, dass ich ab und zu über Kunst schreibe. Auch über die Art Brut( ). Dieser fantastischen rohen Kunst von Geisteskranken. Oder Menschen aus dem Niemandsland der geistigen Wahrnehmung. Oder Künstlern aus sensiblen Parallelwelten. Allen voran habe ich natürlich Adolf Wölfli( ) beschrieben, einen Insassen der Irrenanstalt Waldau bei Bern. Diesen besessenen Zeichner, Schreiber und Buchmacher, der sogar ein eigenes Zahlensystem entwickelte: Regoniff, Suniff, Jeratif, Unitif, Vidoniss, Weratif, Hylotif, Ysantteron, Zernantt, Agonif, Benitif, Corrantt, Deritif, Eratif, Ferrantto, Geratif, Horatif, Inioth, Kariffa, Legion, Negrier, Miriaaden. Adolf Wölfli ist arriviert und hat in der Kunstwelt seinen festen Platz. Etwas wichtiger ist für mich Armand Schulthess( ), ein Freak, der ganze Lexika auf Blechtäfelchen abschrieb mit Ölfarbe und einem Nagel als Schreibwerkzeug und sie in einen wunderschönen Kastanienwald bei Auressio im Schweizer Kanton Tessin hängte. Auch dieser ehemalige Angestellte einer Behörde hat es geschafft. Er hielt Einzug in die damals übrigens fabelhafte Documenta V. Geradezu von gigantischer Prominenz ist der französische Landbriefträger Ferdinand Cheval( ), der seinen Palais Idéal in jahrelanger Sisyphosarbeit auf einem brachliegenden Grundstück beim französischen Örtchen Hauterives errichtete. Unbekannter dagegen ist der noch junge Franzose Gilles Tréhin( ). Er gehört auch nicht zu den Künstlern der Art Brut. Gilles ist ein Autist. Ein ungewöhnlicher dazu, denn er ist ein Savant( ). Ein Mensch, der seine Millionen-Metropole Urville auf dem Reißbrett penibel genau entwickelte, ohne dass es sie je gegeben hätte. Allen diesen Künstlern gehören mein Herz und meine Sympathie. (Siehe Foto unten) Der Zwerg: Von mir kurzfristig auf die Wiese verfrachtet Nun kommt einer dazu, der immer unbekannt bleiben wird. Es ist der Zwergenschnitzer aus Uster. Natürlich kommt er nicht aus Uster und seinen Namen werde ich hier auch nicht verraten. Er möchte es bestimmt nicht. Auch würde er sich selbst nicht als Zwergenschnitzer und schon gar nicht als Künstler bezeichnen. Ob er denn nun letztlich ein Künstler ist, das entscheidet eine unsichtbare Justitia irgendwo im Unsichtbaren. Oder auch nicht. Tatsache ist aber, dass dieser Herr ein Besessener ist und Besessenheit hat für mich schon mit Kunst zu tun. Ich bin auf ihn durch einen befreundeten Arzt gestoßen, der selbst Kunst macht. Irgendwelche Bronzen à la Henry Moore. Nur dilettantischer und kleiner. Er möge mir dieses Urteil verzeihen. (Siehe Foto unten) Der Zwerg: Kunst oder Besessenheit? Und das zig Mal Unser Zwergenschnitzer schnitzt Zwerge aus Holz und bemalt sie dann. In allen Größen und immer die gleichen. Immer in denselben Farben: braun für die Hose, grün für das Oberteil, schwarz für den Bart, rotbraun für die Haare und die Ohren. Das Gesicht lässt er naturfarben. Dafür sind die Augenhöhlen ziemlich dunkel und besitzen brutal reingekloppte Nägel als Pupillen. Alle haben einen spitz zulaufenden Hut aus einem Wachstischtuch geschnitten. Auch der ist bemalt: feuerrot. Man spürt die Besessenheit ihres Schöpfers an der Struktur der Behauung. Das Holz ist grob und ungeduldig bearbeitet. Nichts von gefällig verschmirgelter Form. Markant ist die große und spitz zulaufende Nase aller Figuren. Auch die steif nach hinten geneigte Haltung der Zwerge. Ich kann Ihnen versichern, diese Zwerge sind ein Abbild ihres Schöpfers, denn er sieht selbst so aus. Von seiner steif und reservierten Haltung her zumindest. (Siehe Foto unten) Der Zwerg: Einer von vielen hundert (Siehe Foto unten) Der Zwerg: Grob und ungeduldig bearbeitetes Holz Nun fragt man sich natürlich: Warum immer diese Zwerge? Von zwanzig bis zu sechzig Zentimeter Körpergröße? Ich bin auf keine befriedigende Deutung gekommen und der Künstler wollte mit mir auch nicht darüber reden. Profan wäre die Erklärung, dass er für Gartenzwerge einen gigantischen Markt sieht. Interessanter wäre aber die Vermutung, dass er sich seine eigene große Familie schaffen wollte. Bei meiner Kaufabsicht für eine der Figuren war er sehr zögerlich und verstrickte mich in scheinbar unbedeutende Gespräche, die mit meinem Anliegen aber auch gar nichts zu tun hatten. Schlussendlicht erhielt ich eine Figur, eine ganz bestimmte. (Siehe Foto unten) Der Zwerg: Die fiktive Garage im Nirgendwo Nun noch kurz zum Aufbewahrungsort seiner Schätze: Es ist eine leidlich große Garage irgendwo im Nirgendwo. Jeder noch so kleine Platz ist angefüllt mit