Wandernde Weinprobe

Eine Degerlocher Institution
Wie schon beschrieben, schmiegt sich die kleinste Weinlage Deutschlands hier an die steilen Abhänge, die vom Haigst in die Innenstadt führen. Bewirtschaftet wird sie von einer Handvoll Wengerter, die sich hier einen Wolf schuften wenn sie nicht gerade ihre Mäuerle reparieren damit die Weinreben nicht den Abmarsch ins Tal antreten. Alles in Handarbeit, für Maschinen ist es zu steil und zu klein hier.
Die Wandernde Weinprobe findet jedes Jahr sonntags um den 20. September herum statt (diesmal war sie letzten Sonntag). Man sollte sie aber eher die Kletternde Weinprobe nennen, denn man schiebt sich mit den anderen auf einem Rundkurs mit teils abenteuerlichen und extrem engen Stäffele von Laube zu Laube in den Weinbergen. Bei Gegenverkehr muss man sich einigen, wer wohin weitergeht. Die Lauben haben alle eine kleine Terrasse und schenken Wein aus und verkaufen kleine Speisen, Schmalz– und Kräuterkäsebrote, Maultäschle und sowas. Sitzplätze gibt es wenige, man hockt sich halt zwischen die Reben oder lehnt sich freundschafltich (oder stützeheischend) an dieselben an. Zu trinken gibt es fast ausschließlich Wein (meist im 0,1-Glas) und Wasser, an manchen Ständen auch mal Fruchtsäfte. Einige, größere Stände sind auch direkt auf dem Schimmelhüttenweg und weitere über dem Hauptwirtschaftsweg parallel über demselben anzutreffen. Für die gelegentlichen Ratscher, wenn der Abstieg doch allzu eng war, hat jeder Wengerter ein bisschen Verbandszeug dabei. Man ist gut beraten, festes Schuhwerk und vielleicht nicht gerade die edelsten Ausgehklamotten anzuziehen.
Der Andrang ist gewaltig, denn bis jetzt hat noch an keiner Weinprobe an die ich mich erinnern kann, geregnet. Im Weinberg ist es sehr warm und die Stimmung ist immer super, auch wenn vom armen Studentle aus der Mansarde über den Handwerker und Lehrer bis hin zum Professor mit Haigstvilla alle Schichten und Altersgruppen vertreten sind. Man hockt zusammen und schwätzt und trinkt. Sicher finden sich die immer gleichen Cliquen auch zusammen aber man kann hier sehr interessante neue Bekanntschaften machen. Wir lernten da mal einen ziemlich berühmten Chirurgen kennen (er war auf dem Nachhauseweg vom Marienhospital in die Veranstaltung gestolpert) und wissen seither: es gibt auch in dieser Bildungs– und Einkommensschicht ganz normale Leute ;)
Der Höhepunkt des Andrangs ist immer an der Spitzkehre unter dem Oberen Berg: dort hat man eine Super-​Aussicht ins Tal und das ist auch der einzige Platz, auf den mehr als ca. 30 Menschen passen. Da machen es sich ganze Familien oder Freundeskreise gemütlich.
Die Veranstaltung beginnt gegen 11 Uhr und endet nominell um 18 Uhr. Das Essen reicht meist nur bis fünf Uhr, der Wein, der übrig bleibt, muss noch für den Besen auslangen. Deswegen ist es meist so, dass die Letzten um ca. 20 Uhr mit sanfter Gewalt und fachkundiger Führung irgendwo aus dem Weinberg gepflückt werden.
Immerhin ist noch niemand verloren gegangen oder hat sich ernsthaft verletzt. Auch ist nicht bekannt geworden, dass je gerauft wurde (beiläufig wäre auch kaum Platz für sowas) oder einer mit Alkoholvergiftung im nahen Marienhospital landete, größeren Rebenklau (wahrscheinlich auch weil Kenner wissen, wie sauber die Trauben sein können!), Vandalismen oder sonstige seltsame Lustbarkeiten gab es ebenfalls noch nie zu beklagen.
Man kann nur wünschen, dass diese wunderschöné Veranstaltung noch lange durchgeführt wird!
Übrigens: Der Degerlocher Secco ist dieses Jahr wohl eine Art Geheimtipp.